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Der Baum, der Wald, das Tier, der Mensch. Ein Schicksal: alle leiden.  Der Aufklärer Christoph Martin Wieland hatte vor mehr als 200 Jahren bereits recht: Der Wald ist vor lauter Bäumen nicht zu sehen. Heute ist vom einen wie vom anderen bald nichts mehr da. Ein Leitbild fürs Ganze haben Entscheider noch nie gehabt, dafür führen sie umso entschlossener eine Leitkultur zur Grenzziehung im Munde, was zunehmend auf Gegenliebe stößt. 

 

Blätter, Nadeln, Rinde und irgendwann fällt das ganze Skelett zu Boden. Was senkrecht war hat nun die Richtung gewechselt und liegt darnieder, wird zum Hindernis auf dem Weg und eine Zugangsbeschränkung zum Selbst. 

 

Nackt, ausgesetzt, verstörend ist es nun für den erwartungsvollen Menschen, wenn er den Wald betritt. Der charaktertypische Duft der Heilpflanze Kamille zwischen all dem Totholz wird daran nichts ändern. 

 

Der Wald nimmt in Obhut. Ist diese verschwunden, verlieren sich gewohnte Empfindungen. Wie Baden ohne Badewanne: Es fehlt die Entspannung, die Intimität, der Duft, die Einkehr, die Nicht-Einmischung, die schwebende Autonomie des Moments.

 

Viel Arbeit von Mensch und Maschine benötigt die Beseitigung der Baumleichen und die Aufforstung. Die eigentliche Anstrengung liegt jedoch in der Umkehr – einer Rekultivierung von Achtsamkeit. Aber dafür baucht es Wohlfühlorte zum Nachdenken, deren Stille unsere inneren Motorengeräusche übertönen. Den Wald.

Nordhalben, Titschendorf, Juni 2025

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